Weisheitsgeschichten

 

Thema Vertrauen

Pfedekutsche

Ein alter Rabbi reiste viele Jahre durch Stadt und Land, um zu predigen und zu lehren. Er wurde dabei immer von seinem treuen Kutscher begleitet, der Pferd und Wagen  aufs Beste versorgte und bei Regen und Kälte oft bis in die Nacht hinein geduldig auf seinen Herren wartete. Eines Tages sagte der Rabbi zum Kutscher:

„Du begleitest mich nun schon so lange, du hast so oft auf mich in der letzten Reihe gewartet, inzwischen kannst du die Lehre genauso gut wie ich. Ich möchte, dass wir heute die Rollen tauschen. Das wird gar keiner bemerken. Ich nehme deinen Umhang und du nimmst meinen, und du hältst für mich den Vortrag, während ich die Pferde versorge. Heute warte ich, bis du fertig bist.“ 

Der Kutscher hielt einen wunderbaren Vortrag und regte seine Zuhörer zu vielen Fragen an. Der Rabbi saß in der letzten Reihe und hörte ihm höchst zufrieden zu. Doch dann stockte dem Rabbi plötzlich der Atem. Es wurde ein so komplizierte Frage gestellt, dass der Rabbi sofort wusste, dass der Kutscher diese Antwort nicht wissen konnte.

Der Kutscher hörte die Frage, überlegt ein wenig und sagte dann, mit einer Handbewegung in Richtung der letzten Reihe, zum Rabbi gewandt:

„Die Antwort auf diese Frage ist so einfach, die kann sogar mein Kutscher beantworten!“

 

Thema Trägheit

 

Ein bedeutender Zen-Meister wurde in ein katholisches Kloster zu Unterweisungen eingeladen. Er lehrte die Mönche Meditation und machte ihnen Mut, sich an die Lösung von Koans (klassische Zen-Rätsel) heranzutrauen. 

„Wenn ihr euch mit vollem Herzen eurer geistigen Entwicklung widmet, dann werdet ihr zweifellos Erfolg haben und tiefes Verstehen erlagen“, beteuerte er.

Ein alter Mönch bat ihn daraufhin um ein Gespräch. „Meister, ich muss Euch sagen, dass wir bisher ganz anders praktiziert haben. Unsere Meditationen und Gebete waren sehr einfach, ohne jegliche Anstrengung. Wir warten einfach darauf, dass wir von Gottes Gnade erleuchtet werden. Gibt es denn in Eurer Tradition auch so etwas wie erleuchtende Gnade, die einfach über uns kommt?“

Die Antwort des Zen-Meisters kam ohne zu Zögern: „Im Zen gehen wir davon aus, dass Gott seinen Teil bereits getan hat.“

 

Thema Unruhe

 

Der tibetische Meister Atisha, ein bedeutender Reformer des Buddhismus, lebte etwa 900 m. Chr. Er hatte einen indischen Diener der sich ihn immer gegenüber sehr respektlos und verächtlich verhielt. An allem hatte er etwas auszusetzen. Mit seiner unablässigen Nörgelei machter er den anderen Schülern Atishas das Leben schwer. Deshalb sagten sie zu ihrem Meister:

„Schick ihn doch weg, entlasse ihn, er ist für dich und für uns nur ein Quälgeist!“ Atisha antwortete: „Sagt das nicht! Ich bin froh, dass sich dieser Mann als Objekt für meine Geduldsübungen zur Verfügung stellt. Wie sollte ich diese Vollkommenheit üben, wenn ich ihn nicht hätte?“

 

 

Das Gleichgewicht zwischen Verlangen und Loslassen

 

Eines Tages standen zwei Wandermönche vor einem knietiefen Fluss, den sie durchwaten mussten um ihren Weg auf der anderen Seite fortzuführen. Als sie gerade dabei waren, ihre langen Roben so weit aufzurollen, dass sie nicht mehr nass werden konnten, kam eine junge Frau herbei gelaufen und fragte: “ Könnt ihr mich über den Fluss tragen? Ich fürchte mich vor der heftigen Strömung.“ Der ältere Mönch nickte, trug die Frau über das Wasser und wanderte dann mit seinem jungen Mönchsbruder schweigend weiter. Stunden später machte der jüngere Mönch dem älteren heftige Vorwürfe: „Wir haben doch versprochen, keine Frau anzufassen. Wie kannst du es nur mit deinem Gelübde vereinbaren, dass du die junge Frau über den Fluss getragen hast?“ Der Alte erwiderte: „Mein Lieber, ich habe die Frau auf der anderen Seite des Flusses abgesetzt, du trägst sie immer noch mit dir herum.“

 

 

Akzeptanz = Loslassen lernen

Der Maharaji von Damaskus war ein kluger und großzügiger Herrscher, der versuchte, junge Menschen in jeder Hinsicht zu fördern. An seinem Hof gab es einen hochbegabten jungen Mann, der ihm eines Tages, laut nach Hilfe rufend, aus dem Garten entgegen kam. 

„Was ist los?“, fragte der Maharaji. „Gebt mir ein Pferd, gebt mir Euer bestes Pferd. Ich muss noch heute nach Bagdad reiten“, rief der junge Mann. Begütigend nickte der Ältere. „Du sollst es haben. Sofort wird es dir gebracht. Aber sag mir doch, wofür du es brauchst?“ 

Der junge Mann erzählte voller Aufregung: „Ich habe eben im Garten den Tod getroffen. Er hatte die Arme nach mir ausgestreckt, und ich bin ihm knapp entflohen. Ich muss noch heute nach Bagdad reisen, um meine Träume zu erfüllen, bevor es zu spät ist. “ Schon saß er auf dem Pferd und staubte davon.

Der Maharaji ging daraufhin nachdenklich in den Garten, traf dort den Tod und fragte ihn: „Warum musstest du denn den jungen Mann so erschrecken?“  „Ach“, sagte der Tod, „ich habe doch nur vor Verwunderung meine Arme in die Luft geworfen. Ich habe gar nicht damit gerechnet, ihn hier im Garten anzutreffen, denn wir haben heute Nacht eine Verabredung in Bagdad.“